Szenen einer Mischehe

Sabine Henßen empfiehlt zwei Mal täglich den Podcast „Ab 17“, in dem der alltägliche Irrsinn aufgearbeitet wird

Montags bis freitags, ab 5 Uhr früh und nachmittags ab 17 Uhr, wird Bilanz gezogen. Über Absurdes, auf den ersten Blick Belangloses, freiwillig, öfter auch unfreiwillig Komisches, über familiäre Katastrophen vom Kindergeburtstagsbesäufnis bis zum menschengemachten Fäkalienterror. Das therapieerprobte Ehepaar Wosch (Foto unten) geht mit „Ab 17“ zwei Mal am Tag auf Sendung. Falsch! Macht einen Podcast – der aber klingt wie aus dem Radio. Und das hat seinen guten Grund: Kathrin Wosch moderierte bei radioeins“ im Funkhaus RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) das Format „Der schöne Morgen (jüngst mit dem Radiopreis ausgezeichnet), Tommy Wosch, ohnehin als Legende verrufen, moderiert seit 1995 ebenfalls in Berlin – pflegt aber ein Doppelleben als Fernsehmensch, produziert, führt Regie und schreibt, etwa die Mini-Serie Faking Hitler“, die die teilweise fiktiven Ereignisse um die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher zu Beginn der 1980er Jahre erzählt.
Der werktägliche Podcast holt also Werktätige ab, sogar die, die um 5 Uhr bereits ein offenes Ohr für Satire und Nabelschau haben. Denn die findet mit Sicherheit statt, es wird persönlich, die Woschs halten mit hauseigenen Nachrichten nicht hinterm Berg. Die Zuhörerschaft darf nachempfinden, was Woschs erleben, etwa, wie sich Handwerker im Garten lösen, der fünffache Vater Tommy beim multikulturellen Kindergeburtstag allein die kompatiblen Brote schmieren muß, da Ehefrau (eben schlauer) zur Tanke fährt, um für die später kinderabholenden Eltern Alkohol zu besorgen. Und dort bleibt. Auch Waschbären, die Woschbären, werden zu Protagonisten, verschwinden nicht in der Soljanka, wie Frau Wosch als Problemlösung anregt, sondern besteigen das Cabrio von Herrn Wosch auch schon mal als Beifahrer. Wenn mal nicht der Keller unter Wasser steht, muß sich Vater Tommy polizeiseits Geschichten über seine um ein Haar enthaupteten Kinder anhören – im Beisein derselben.
Und täglich erleben Zuhörende Szenen einer Mischehe, denn Kathrin, aus Seehausen stammende, geborene Thüring, verbrachte ihre prägenden ersten Lebensjahre in der DDR, Tommy – eigentlich Vass, Wosch ist das Pseudonym – ist gebürtiger München-Pasinger. Das sorgt für wohlige Spannung im Dialog, weil Westund Ost-Biographie unterschiedliche Bewertungen des Alltagsgeschehens hervorbringen. So wird bei Woschs, bei Vassens, täglich die deutsch-deutsche Annäherung geübt. Klappt nicht immer, auch weil zur Sozialisation in den widerstreitenden Systemen der differierende Chromosomensatz hinzukommt. Doch taugt der Mikrokosmos durchaus als Vorbild für den Makrokosmos. Man rauft sich zusammen, immer wieder.
Neben dem familiären Wahnsinn kommt auch der politische nicht zu kurz. Eindeutiger konnte keine Wahlempfehlung für Brandenburg ausgesprochen werden, und mit deftiger Kritik und Beschimpfung in Richtung des politischen Endgegners wurde und wird nicht gespart. Kein Lavieren. Keine Satire. Das meinen die ernst, die Woschs, die aus ihrem Heimstudio im Mühlenbecker Land aus dem Wintergarten senden, und werden, andernorts oft vermißt, deutlich. Ein eigenes Format im Format, „50 Fragen an““, war die Antwort der Radiomenschen auf Sprachlosigkeit. Vom 12. bis zum 20. September wurden alle brandenburgischen Spitzenkandidaten oder deren Vertreter mit 50 Fragen konfrontiert, besser malträtiert: Keine langweiligen Laber-Antworten aus der Politik, sondern Kürze, Würze und Zeitdruck. Und ja: nur Kandidaten, denn es waren mal wieder nur Männer. Überraschung! Ach ja, und vom „“Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) hatte niemand Zeit, auch Überraschung, so das Podcast-Paar. Wie sich jeder einzelne Kandidat schlug, kann nachgehört werden.

Auch menschlichen Entgleisungen wird entsprechende gesellschaftliche Tragweite diagnostiziert: In der Folge „Unlucky Luke““ wird die Frage nach der berühmten Humor-Grenze gestellt und auch beantwortet. „“Donald und die Katzenkocher“ reagiert auf den internationalen Wahnsinn und zeigt, daß beide SatirikerInnen auch die ganz große Bühne im Visier haben – Heuchler und Verleumder in aller Welt, nehmt euch in Acht!
„Ab 17“ folgt auf die Radio-Satiresendung „Bonnies Ranch““ (das war früher der Berliner Spitzname für die „Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik), die von Januar 2020 bis Juni 2023 jeden Freitag auf „radioeins“ ausgestrahlt wurde. Der Podcast „Ab 17“ ist nachzuhören auf allen bekannten Plattformen, die freitägliche „“Ab-17““ -Ausstrahlung von 17 bis 19 Uhr auf „radioeins“ des RBB kann über www.radioeins.de abgerufen werden.

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