Genug ist genug!

Hermann Klepper, Mitglied der .Wachstumswende Wendland. sieht endlich Licht am Ende des Klimatunnels, seit der Sachverständigenrat Grenzen und Genügsamkeit statt grünem Wachstum einfordert: Suffizienz ist für eine Stabilisierung der Erde unerläßlich.

Ein Meilenstein in der Klimadiskussion, für mich sogar eine Revolution: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hat im März 2024 das „Diskussionspapier Suffizienz als „Strategie des Genug“ herausgegeben und schreibt zu Suffizienz (von lateinisch sufficere, genügen, ausreichen): „„Suffizienzansätze streben eine absolute Verminderung der schädlichen Umweltauswirkungen des Rohstoff- und Energieeinsatzes durch gezielte Reduktion bestimmter Güter und Dienstleistungen an““.
Und dieser Sachverständigenrat ist nicht irgendein Gremium, es ist das Gremium von Wissenschaftler/Innen, das unter anderem die jährlich zu erreichenden Klimaziele in den einzelnen Sektoren wie Wohnen, Industrie, Landwirtschaft oder Mobilität vorgegeben hat, damit das gesetzlich festgeschriebene Pariser 1,5-Grad-Klimaziel hätte erreicht werden können. Vorgaben, die jedoch in diesem Sommer von der Bundesregierung aufgehoben wurden.
In dem Diskussionspapier befinden sich Aussagen, die die zentrale Bedeutung von Suffizienz für Klima- und Ressourcenschutz deutlich machen. Unter anderem werden folgende Aussagen getroffen: „Suffizienz ist für eine Stabilisierung der Erde unerlässlich“ oder „Suffizienz ist Voraussetzung für menschenwürdiges Leben aller in planetarischen Grenzen“ oder „Ressourcenintensive Lebensstile gefährden die Freiheit anderer, und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren“ oder „Suffizienz kann Baustein eines gelingenden Lebens sein““. Und zusammenfassend schreibt der Expertenrat: „Suffizienz ist zentral für das Selbstverständnis demokratisch-ökologischer Zivilisation““.
Die Bedeutung von Suffizienz, die Bedeutung von Genügsamkeit wurde in der gesamten Klimadiskussion nur wenig beachtet, obwohl jeder sehen konnte, daß immer dann die CO2-Emissionen deutlich zurückgingen (etwa in der Finanzkrise 2009 oder in der Coronakrise) und auch die Klimaziele 2022 und 2023 maßgeblich deswegen erreicht wurden, weil weniger konsumiert und produziert wurde (siehe auch EJZ vom 1. 2024).
Auch in der politischen Diskussion im Wendland wurde die Forderung nach mehr Suffizienz eher belächelt, abgetan und möglichst gar nicht erst diskutiert. Deshalb ist es gut und ermutigend, daß der Landkreis jetzt im Rahmen des Zukunftsentwicklungskonzepts am 1. Oktober eine Veranstaltung zu Suffizienz mit dem Vordenker der Postwachstumsökonomie, Prof. Niko Paech, plant.
Wer die Bedeutung von Suffizienz nicht klar benennt, trägt mit dazu bei, daß wir das Pariser 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen werden und weiterhin schicksalhaft – den Weg gehen, den wir seit etwa vier Jahrzehnten gehen, und uns mit dem Traum vom „grünen Wachstum“, „Energieeffizienz, Technologieoffenheit“, „Klimaneutralität im Jahre 2040“, „Ausbau erneuerbarer Energien“ beruhigen und dabei für den Bau von Solarparks selbst vor Naturschutzgebieten nicht Halt machen und keine Skrupel haben, sie auf Ackerland zu errichten.

Dennoch, und das ist so etwas von verrückt, verfehlen wir mit all diesen Maßnahmen das Pariser 1,5-Grad-Klimaziel: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sah es in einem Gerichtsurteil am 16. Mai als erwiesen an, daß die Maßnahmen der Bundesregierung weiterhin nicht ausreichen, das Klimaziel zu erreichen. Und der anfangs genannte Sachverständigenrat für Umweltfragen prognostizierte am 4. Juni, dass die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele für 2030 verfehlen dürfte“ (Kommentar EJZ).
Die deutlichen Aussagen des Sachverständigenrates zu Suffizienz zeigen den Weg, der zusammen mit den schon bislang getroffenen Klimaschutzmaßnahmen gegangen werden muß. Doch, und das ist so entscheidend: Ist es überhaupt realistisch, daß wir in unserer Gesellschaft grundlegende Veränderungen im Sinne von Genügsamkeit umsetzen können? Der Sachverständigenrat schreibt: „“Suffizienzpolitik wird auf gesellschaftliche Widerstände treffen““.
Und diese Widerstände werden heftig sein, nicht nur die der Lobbyisten aus Wirtschaft und Politik, auch aus der Bevölkerung. Die Frage ist: Sind wir grundsätzlich bereit, Vorgaben aus der Politik, die unser Konsumverhalten einschränken wollen, zu akzeptieren? Wir erleben gerade, wie Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu aberwitzigen politischen Verwerfungen führen kann. Eine Veränderung in unserer Gesellschaft hin zu einer „“Kultur des Genug““, zu einer Kultur des Weniger“ wird nur dann gelingen, wenn Menschen das Gefühl haben, nicht benachteiligt zu werden, wenn alle sozialen Schichten ihrem Einkommen entsprechend für das Gemeinwohl konsequent zur Verantwortung gezogen werden. „Suffizienzpolitik muß gerecht gestaltet werden“, so der Sachverständigenrat.
Und der Weg zu einer „„Kultur des Genug““ wird auch deswegen so schwer werden, weil große Widerstände in der Psyche des Menschen liegen. In der Evolution des Homo Sapiens hat sich zentral der Selbsterhaltungstrieb entwickelt, Dinge haben zu wollen, die zum Überleben notwendig gewesen sind. Seit Urzeiten liegt diese Kraft im Wesen des Menschen. Dieser Selbsterhaltungstrieb, so scheint es, hat sich mit den Verlockungen einer überladenen Konsumwelt verselbständigt, ist nicht mehr zu kontrollieren, hat sich gelöst von Vernunft und der Verantwortung, die eigenen Lebensgrundlagen zu erhalten. Der Psychoanalytiker Erich Fromm spricht schon 1979 in seinem Buch „Haben oder Sein“ von der Droge Konsum, spricht vom „pathologisch übersteigerten Konsum“, vom „“Homo consumens““.
Und sind Menschen, die viel Geld zum Konsumieren zur Verfügung haben, von sich aus überhaupt bereit, inmitten einer irren, verlokkenden Konsumwelt mit einer geschickten, Menschen manipulierenden, sich aufdrängenden Werbung ihren Lebensstil und ihre Gewohnheiten hin zu weniger Konsum zu verändern? Weg vom SUV, hin zum E-Bike? Weg von Flugreisen und Kreuzfahrten? Sind Menschen selbst dann noch bereit, genügsamer zu leben, wenn der Mainstream, wenn Nachbarn, Arbeitskollegen oder Freunde mit vergleichbarem Lebensstandard weiterhin ihr Leben ohne Rücksicht auf Verbrauch von Energie und Ressourcen leben?
Welche Macht hat das Streben nach Anerkennung und gesehen zu werden über Statussymbole wie Haus, Einrichtung, Auto, Flugreisen oder Kreuzfahrten? Es gilt: „Ich bin, was ich habe, vorzeigen kann, konsumiere“.
Und was macht mit uns das Gefühl der Ohnmacht, am Ende doch nichts ausrichten zu können in einem globalen Wirtschaftsgeschehen mit Milliarden von Menschen, die nicht in der Lage sind, auf die existentiellen Bedrohungen, die kommen werden, entsprechend zu reagieren? Der Club of Rome hat schon 1972, also vor mehr als 50 Jahren, mit dem Bericht „Grenzen des Wachstums““ deutlich davor gewarnt, daß wir die Erde übernutzen, wenn wir mit unserer Lebensweise so weitermachen. In diesen 50 Jahren haben wir jedoch genau das Gegenteil getan, haben das Wachstum, das Goldene Kalb unseres Wirtschaftssystems, ständig weiter gesteigert –mit entsprechenden Folgen. Stünde die Klimakatastrophe als Höhlenbär im Eingang der Höhle, sähe Klimaschutz anders aus.
Auch ist es nur zu verständlich, wenn Menschen mit geringem Einkommen, Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, gerade im Blick auf ihre wohlhabend konsumierenden Nachbarn, wenig geneigt sind, ihren Konsum zurückzufahren – und Menschen, die psychisch belastet sind, haben wahrlich andere Sorgen als über ihren Lebensstil das Klima zu schützen.
Um Menschen auf grundlegende Veränderungen im Denken, Leben und Wirtschaften vorzubereiten, ist es unerläßlich, daß die Politik die Bevölkerung darüber informiert, wie dramatisch die Situation ist, in der wir leben. Politik muß den Mut haben, der Bevölkerung zu sagen, daß die wenigen Jahre bis 2030 entscheiden werden. Sie muß der Bevölkerung einschneidende, aber eben notwendige Maßnahmen erklären, sie muß den Menschen ganz klar sagen, daß wir und unsere Kinder nur dann eine lebenswerte Zukunft haben werden, wenn wir unser Konsumverhalten drastisch verändern.

Es gibt wahrlich genug deutliche Warnzeichen dafür, daß wir so nicht weitermachen können: „“Die Nordsee war 2023 so warm wie nie zuvor““ (EJZ, Juni 2024). In Niedersachsen und Bremen waren die Monate März bis Mai die wärmsten je gemessenen (EJZ, 1. Juni 2024). Und der 21. Juli 2024 war weltweit „der heißeste Tag seit Jahrzehnten. Das Jahr 2023 war laut EU-Klimabericht eines der heißesten aller Zeiten (EJZ, 23. April 2024). Ganz aktuell weist das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung darauf hin, daß die Jahre bis 2030 entscheidend dafür sein werden, ob es zu einer Klimakatastrophe kommt, die nicht mehr zu beeinflussen ist (Stichwort Kipp-Punkte“), „mit verheerenden Folgen für die Menschen auf der ganzen Welt“, oder ob sich die Folgen des Klimawandels noch eindämmen lassen (EJZ, 2. August 2024). Auch das muß der Bevölkerung klar gesagt werden.
In dem Diskussionspapier geht es auch um die Definition von gesellschaftlicher Wohlfahrt, was dem Begriff „Wohlstand“ entspricht. Der Sachverständigenrat schreibt in diesem Zusammenhang: „Ein zukünftiges Verständnis von gesellschaftlicher Wohlfahrt darf diese nicht auf stetig wachsenden Konsum reduzieren. Nötig ist eine breite öffentliche Debatte darüber, was Wohlfahrt im Kern ausmacht.“
Eine Diskussion darüber, wie unsere Gesellschaft Wohlstand“ definiert, ist lange überfällig. Sie kann sinnvoll einhergehen mit einer Diskussion um eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft hin zu einer „Kultur des Genug, denn unsere Gesellschaft braucht Leitwerte, die der Droge Konsum, die mit hohem Energie- und Rohstoffverbrauch verbunden ist, etwas entgegensetzen.
Ist es eher materieller Wohlstand, den wir weiterhin mehren wollen, auch auf Kosten des Klimas, der Natur und Lebensbedingungen anderer Menschen in unserer Gesellschaft und weltweit? Oder sind es eher soziale, ökologische, gesundheitliche Aspekte, die Wohlstand ausmachen, die uns Lebensqualität geben und zu einem guten Leben für alle führen? Welchen Wohlstand wollen wir?
Auch wenn diese Widerstände unüberwindbar erscheinen, um in unserer Gesellschaft ganz grundlegend etwas zu verändern – hin zu suffizienten Lebensweisen, das Diskussionspapier des Sachverständigenrats gibt Hoffnung. Es wäre ein Segen, wenn die Aussagen des Sachverst ändigenrats in der Bevölkerung, in Wirtschaft, Politik, auch bei uns im Landkreis, intensiv diskutiert würden – und auch gehandelt wird. Rechtzeitig!
Die Veröffentlichung des Diskussionspapiers des Sachverständigenrats zu Suffizienz ist zu finden unter https://umweltrat.de)