Sag mir, wo die Schiffe sind…!

Ökologisch katastrophal, ökonomisch vollkommen sinnfrei, soll dennoch die Fahrrinne der Elbe-„Reststrecke“ zwischen Dömitz und Hitzacker aufwendigst vertieft werden. Wasserfachmann Dr. Erich Bäuerle faßt sich an den Kopf.

116Augenblicke

Es ist schon auffällig, daß es seit einigen Jahren immer schwieriger wird, auf der Mittelelbe zwischen Magdeburg und Lauenburg ein Binnenschiff zu Gesicht zu bekommen. Früher konnte man, zum Beispiel, vom Weinberg in Hitzacker oder vom Aussichtsturm Kniepenberg bei Tiesmesland beobachten, wie sich die Güterschiffe, immer wieder die Seite wechselnd, flußauf- oder -abwärts ihren Weg suchten, stets bemüht (und geführt durch die grünen oder roten Markierungsbojen) nicht mit den Untiefen des Flußbetts in Konflikt zu geraten.
Dieses „Schauspiel“ ist immer seltener geworden, denn die Güterschiffahrt auf diesem Abschnitt der Elbe ist inzwischen fast völlig zum Erliegen gekommen. Ganz einfach deshalb, weil immer öfter nicht einmal mehr ansatzweise genügend Wasser in der Fahrrinne des Flusses war und die Schiffe gezwungenermaßen den kürzeren (!) Weg über die Seitenkanäle genommen haben. Die Kanäle weisen nämlich beständig eine Tiefe von dreieinhalb bis vier Meter auf. Und angesichts der steigenden Spritpreise war und ist es einfach billiger, diesen garantiert schiffbaren Weg zu nehmen.

Das seit Jahrzehnten diskutierte und ökologisch höchst bedenkliche Thema Ausbau der Reststrecke zur Herstellung der Leichtigkeit des Schiffsverkehrs auf der Elbe“ hatte sich, so sollte man meinen, ganz von selbst erledigt. Aber nein! Im neuen Gewand des „Gesamtkonzept Elbe“, das im Jahr 2017 von der Bundesregierung und den beteiligten Ländern formuliert und beschlossen wurde und dessen Kernpunkt der besagte Ausbau der Reststrecke der Elbe (der Abschnitt von Dömitz bis Hitzacker) ist, beschäftigen sich seither unter Federführung des Wasserschiffahrtsamts eine beeindruckende Zahl von Fachleuten mit der Planung von Maßnahmen, mit denen der Verkehr von Binnenschiffen auf der Elbe angekurbelt werden könnte. Damit sollten unter anderem auch die für den Hamburger Hafen prognostizierten, stark steigenden Containeranlandungen über die Elbe ins nahe und ferne Hinterland (letztendlich bis nach Tschechien) verfrachtet werden.
Der nach der Wiedervereinigung groß ausgebaute Hafen von Wittenberge sollte dabei Umschlags- und Verteilerpunkt werden. Nur: die Wirklichkeit spielt nicht mit, der Containerumschlag im Hamburger Hafen stagniert seit 2008 (genau betrachtet ist er inzwischen kontinuierlich auf 70 Prozent des damaligen Wertes gesunken. Tendenz: weiter fallend) und der trimodale Hafen“ in Wittenberge, bei dem das optimale Zusammenwirken von Güterverkehr auf der Straße, auf der Schiene und auf dem Wasserweg beispielhaft realisiert werden sollte, hat sich inzwischen zum Güterbahnhof gewandelt – ganz einfach, weil für die Schiffe mit dem Weg über die Elbe mangels Wasser nicht die nötige Planungssicherheit gegeben ist. Die Entscheidung der Schiffseigner für die Seitenkanäle und gegen die Reststrecke ist also nicht unbedingt als Entscheidung gegen das Schiff als Medium des Gütertransports zu sehen. Aber offensichtlich ist im Fall der Elbe die Fahrt durch die Kanäle mittlerweile kostengünstiger – womit die
Frage, wo die Schiffe geblieben sind, beantwortet sein dürfte.
Es mutet eigenartig an, wenn seitens der Wasserschiffahrtsverwaltung jetzt für die Idee geworben wird, durch Ausbaumaßnahmen im Bereich der Reststrecke dafür zu sorgen, daß die Leichtigkeit der Schiffahrt“ hergestellt wird, die doch für die Kanäle ohne jede Maßnahme bereits gegeben ist. Der Ausbau beinhaltet: Unterbindung der Bildung von wandernden Sandbänken, die bisher (auch, wenn genügend Wasser im Fluß war) die Schiffe gezwungen hatten, immer wieder die Seite zu wechseln, um im tiefen Fahrwasser zu bleiben. Da diese Sandbänke sich stetig flußabwärts verlagern, mußten die Wasserschiffahrtsämter durch permanente Tiefenmessungen ausloten, wo sich die Fahrrinne aktuell befindet. Da die Übergänge von der einen zur anderen Flußseite nicht immer tief genug waren, mußte dort gebaggert und vertieft werden. Jetzt glaubt man durch Untersuchungen in Flußmodellen und durch Computersimulationen Möglichkeiten gefunden zu haben, wie der Fluß zu bändigen sei und das Phänomen der „„alternierenden Bänke““ zum Verschwinden gebracht
werden könnte.
Die langfristigen Auswirkungen solcher Eingriffe werden sich aber erst im Lauf von Jahren oder Jahrzehnten einstellen. Und es ist wissenschaftlich keineswegs gesichert, ob es gelingen kann, die massiven Sandverlagerungen derart zu gestalten, daß die Dynamik der Strömungen im Fluß so gezügelt werden kann, daß sich nicht andere als die geplanten Sedimentations- und Erosionsprozesse einstellen. Es muß betont werden, daß seit längerer Zeit im Bereich der Reststrecke, was die Sohlerosion angeht, ein „dynamisches, aber stabiles Gleichgewicht“ zu beobachten ist (Aussage von Dr. Gudrun Hillebrand auf einer am 14. Januar 2023 vom BAW im Verdo“ Hitzacker durchgeführten Veranstaltung).

Daß in dieses Gefüge trotzdem eingegriffen werden soll, ist als höchst riskant zu bezeichnen. Versuch macht klug, und aus Schaden kann man lernen? Als ob durch die weiter stromaufwärts gelegene, sogenannte Erosionsstrecke, wo sich die Elbe seit Jahrzehnten in den Untergrund eingräbt (mit gravierenden Folgen für die Grundwasserverhältnisse in den Elbauen), nicht genügend ungelöste Probleme bestünden. Probleme, die als Reaktion des Flusses auf die in der Vergangenheit durchgeführten Flußbaumaßnahmen (Durchstiche, Begradigungen, Eindeichungen…) zu sehen sind. Die hervorgerufenen Schäden sind längst nicht behoben, denn es will dort trotz massiver Zugaben von Kies und Sand (im Durchschnitt mehr als 1 000 Tonnen pro Tag!) partout nicht gelingen, die ständige Sohlvertiefung aufzuhalten.
Und selbst, wenn es gelingen würde, im Bereich der Reststrecke wie geplant eine 50 Meter breite und 1,40 Meter tiefe Fahrrinne herzustellen
(in den Kanälen sind, wie gesagt, ständig nahezu vier Meter vorhanden) und diese stabil zu halten, würde in Jahren wie den zurückliegenden Trockenjahren (die sich in Zukunft noch häufen werden) das Wasser im Fluß nicht ausreichen, um diese „Rinne“ zu füllen. Mit dem aus der jüngsten Vergangenheit bekannten Effekt, daß wochen- und monatelang kein Schiffsverkehr mehr möglich ist (über die Seitenkanäle sehr wohl!).
Soll zwischen Hitzacker und Damnatz, auf diesem letzten Abschnitt des noch nicht völlig verbauten Flusses, ein neues Kapitel geschrieben werden über die fehlgeschlagenen Versuche, die Natur zu bändigen? Obwohl dafür (in diesem Fall offensichtlich) keinerlei Bedarf vorhanden ist? Um an die Aufforderung im Titel anzuknüpfen: …wann wird man je versteh’n?